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"Seelenbilder möchte ich singen "
von Anke Hachfeld   

Ist es Schamanismus, ein Huldigung des Infantilen, ein transkultureller "Übergriff" in Richtung Weltmusik, Pathos, der zum Selbstzweck verkommt oder ist gar ein "göttlicher Funke" mit im Spiel?

1. Fragen finden Antworten:

Damals hinterm Mond 1996

Mila Mar entstand, obwohl es die einzelnen Mitglieder schon länger gab.
Sie trafen sich ganz "zwischenmenschlich" ohne Weg und Ziel, an irgendeinem Ort.
Sie hießen Anke Hachfeld (voc, perc), Katrin Beischer (violin, flute, perc), SØan Meyer (perc, backvoc.) und Maaf Kirchner (synthesizer, samples, perc).
Und selbst, wenn sie gestorben sind, dann heißen sie auch heute noch so!

Damals hinterm Mond 1997

Mila Mar entdeckten eine Musiklandschaft, die minimalistisch-monoton, aber doch ekstatisch und orchestral, düster, aber auch märchenhaft verzaubernd, kindlich naiv und reif zugleich war. Die erste CD wurde aufgenommen, genannt "Mila Mar".

Eine Novität?

Welchen Sinn macht es eigentlich, Musik in Worte zu kleiden, die diese selbst gar nicht will und braucht? Eine Sprache der Seele, ohne Worte, die der Intensität von Phantasie und Gefühl zur Macht verhilft?

Mila Mar fand heraus, was andere schon länger wußten:

"Wir träumen alle von einer Sprache ohne Worte, welche das Unaussprechliche sagt, das Ungestaltbare darstellt"
(Hermann Hesse, "Der Steppenwolf")

Damals auf dem Mond 1998

Mila Mar trat an die Öffentlichkeit und die Öffentlichkeit trat zurück, doch es tat nicht weh, denn die Menschen, so schien es, verstanden auch ohne Worte.
"Das Publikum saß gebannt auf den Boden, niemand wagte ein Wort zu sagen, bis der Vorhang fiel und die Normalität wieder einkehrte." (Guide 2/98)
Mit neuen Liedern machte sich Mila Mar auf die Suche nach einer Plattenfirma.

Sonnenfinsternis 1999

Eine Plattenfirma wurde gefunden, oder fand sie Mila Mar?
Egal, am 25.Mai erschien "Nova" bei "Strange Ways Records". Mila Mar wurde auch außerhalb der "vier Wände" bekannt, was nicht zuletzt an der permanenten Livepräsenz festzumachen war.

Übrigens:
Wenn man auf dem Mond sitzt, ist es während einer Sonnenfinsternis sehr hell!

Ein Blick 2000

Das "Mila Mar" wird persönlich:
"Ich stelle mit vor, mein Namen sei Anke!"
Ich singe, trage vor, was ich empfinde in einer Sprache der Phantasie, ganz selbstvergessen menschlich ist meine Aussage. Ich bin keine Schamanin, nehme meinen Pathos ernst, weil er zu meinem Leben gehört, infantil bin ich gerne und Gott kenne ich leider nicht.

2. Eine Sprache ohne Worte

... das unbewußte Kreieren von Wörtern,
deren Bedeutung keine Wichtigkeit haben.
Es ist lediglich die Phantasie der Gefühle,
und zugleich deren erlebte Realität.
Ein Aneinanderreihen "stummer" Worte,
wenn man sie so nennt,
ohne Sinn und Verstand.
Eben eine gesungene Sprache der Seele,
wo Worte transportierendes Beiwerk sind,
mit der Konsequenz,
daß jedes Lied ein Seelenbild ist,
ein gegenwärtiges und unmittelbares
Abbild der Gefühlssituation...

Ich trage meine Lieder in einer Phantasiesprache vor. Warum?

Weil ich somit in der Lage bin, mein ganzes Selbst zum Ausdruck zu bringen. Sprache ist für mich eine der wichtigsten Errungenschaften der menschlichen Kultur, um dies vorweg zu sagen, aber ist sie wirklich umfassend genug, um verstanden zu werden, oder um zu verstehen? Vermag Sprache es in ihrer Dualität (z.B. ich denke / ich fühle), die Phänomene unserer inneren und äußeren Welt darzustellen? Wenn man davon ausgeht, daß Gefühle ausschließlich über Sprache erlernt werden, dann sicherlich, aber ist das so?

"Liebe" drückt hunderte, tausende verschiedener Dinge aus.
Ich spreche jetzt nicht davon, daß ein Gefühl gar nicht in einem Wort erfaßt werden kann, sondern daß jede Liebe eines Menschen zu einem anderen Menschen anders geartet ist: das versteht sich von selbst. Das Problem ist jedoch, daß wir für den ganzen Gefühlsbereich "Liebe", der vom Gernhaben zu der tiefsten Beziehung reicht, nur ein Wort haben." (Erich Fromm, Leben zwischen Haben und Sein.)
Wie kann ich über Sprache nun vermitteln, was ich empfinde, wie ich es "wirklich" meine?

Ein menschliches Dilemma?

Liebe ist ein Grundbedürfnis des Menschen, und wir haben in unserem Kulturkreis nur ein Wort für dieses Phänomen. Dies zu akzeptieren, fehlt mir der Verstand. Also habe ich mir meine eigenen Phantasieworte geschaffen und zusammen mit meinem Gesang, der natürlich mehr als nur Worte transportiert, finde ich viele Ausdrücke für die Liebe, ohne mich in Kopf und Herz zu zerlegen, was ja immer eine blutige Angelegenheit ist.

Stop!

Ist diese Frau eine Esoterikerin? Will sie missionieren, ganz nach dem Motto: "Finde dich selbst in meiner Musik, sonst findet dich niemand?" Meint sie gar, sie könne hier mal eben in die Wissenschaft einbrechen, ohne wissenschaftlich vorzugehen? Oder ist sie einfach nur naiv, geradezu "dumm-dreist"?

Nein!
Für mein Leben hat es sich gezeigt, daß ich keine Lust mehr habe, immer nur mit einem eindimensionalen Wasserkopf durch die Welt zu spazieren.
Ich finde, daß sich der Mensch in seiner Gesellschaft recht unmenschlich eingerichtet hat. Unser Denken wird immer eindimensionaler, immer kopflastiger. Der Schwerpunkt liegt mehr und mehr auf der Betonung der Vernunft und der Intensität der Leidenschaft in Richtung auf den Intellekt. Diese Schwerpunktverlagerung, und das wissen die meisten von uns, hat mit der Produktionsweise und der zunehmenden Wertschätzung der Technik zu tun. In unserer Gesellschaft kommt es primär auf Produktivität und Funktionalität an.
Das eine bedingt das andere: Der Mensch strebt zur Perfektion und stellt den Intellekt ins Zentrum des Geschehens. Selbst Kinder haben nur noch geringe Chancen, an der gnadenlosen Funktionalität des Handels vorbeizukommen.
Ich plädiere hier nicht für eine Umkehr "zurück zur Natur". Nur die Natur, und der Mensch mittendrin, das wäre todlangweilig.

Ich selbst empfinde mich nicht als getrennt in Geist und Körper. Meine Gefühle können durchaus rational sein mein Denken, und mein Verstand irrational wie mein Herz. Aber in der Realität "zerlegt" jeder Mensch sich ständig, um in dieser Welt nicht weiter aufzufallen.Die Welt voll menschlicher Hüllen.

Wahrheiten
sind maskierte Fragen.
Mit fremden Antworten im Gepäck
marschieren sie im Gleichschritt.
Kommen nicht vom Wege ab.
Gemäß der Maße
walkt die Masse,
gut verschnürt,
doch mit wenig
menschlichen Zügen ausgestattet.

Tagebucheintrag:

Ich weiß wie es ist, aus allen funktionalen Bereichen des Lebens herauszufallen, und wenn ich auch noch jung bin, so bin doch alt genug zu verstehen, daß nicht ich versagt habe, sondern unsere Gesellschaft ihre "Lückenbüßer" braucht. Frauen sind hier im übrigen beliebte Objekte.Ein Aufschrei sei erlaubt, ob arienhaft vorgetragen oder auch als Kind erlebt, mein Gesang macht mich heil, auch wenn er mich ver-rückt.
Feststellung: "Ich bin normal!"
Ich betreibe keinen Schamanismus und zelebriere keine mystischen Rituale, bei denen ich meine Weiblichkeit "abfeiere". Ich gehe auch nicht stundenlang in den Wald, um zu meditieren.

Ich singe.

Trotzalledem
Sprache hin oder her, wenn man sich selber nicht mehr verzaubern kann, ist "der Ofen aus". Das ist die Gegenseite des vollkommenen Verstehens: Ich benötige ungeklärte Phänomene, um zu leben.

Die Musik von "Mila Mar" wurde und wird häufig als mystisch bezeichnet. Wenn ich den Begriff "Mystik" als Umschreibung unbekannter Phänomene betrachte, dann kann ich diese Bezeichnung verstehen, wenn sie allerdings als besondere Form der Religiosität dargestellt wird , bei der der Mensch durch Hingabe und Versenkung zur persönlichen Vereinigung mit Gott zu gelangen versucht, dann habe ich ein Problem damit.

 

3. Seelenbilder"

Wissen sie, Herr Doktor, ich war schon mal ganz weit fort. Vorher war ich noch nie dort gewesen, aber gestern war ich da." sagte sie, während der Gnädige Herr die Tür schloss.Tatendrang.

Plötzliche Müdigkeit.
Eine Sekunde.
Ich nehme Abschied.
Verlasse den Raum meiner Zeit.
Alles ist fort.
Leichte Körperlichkeit.
Kein Knochen.
Fliegen kann ich.
Unruhe und Angst.
Komme wieder.
Vergesse zu Atmen.
Muß zurück.
Luft.
3 Jahre alt.
Kleine Heldin.
Schläuche im Kopf.
Keine Sprache.
Mama.
Bin so allein.

Es gibt Situationen im Leben, da reichen keine Worte. Alles findet sich zusammen, das Leben und der Tod, und du findest dich nicht zurecht. Doch mit der Zeit wird es einfacher und alle Unklarheiten werden beseitigt: "O.K., ich war tot!"
Wie spannend, jeder möchte sicher wissen, was ich alles gesehen habe, aber wie das Leben nun manchmal so ist, es kommt anders als man denkt.
Mein Stummsein für mich behalten?
Nein.
Ich singe es heraus, denn ich kenne meine Seele.

Der Pathos, er hat zugeschlagen,
und ich setze noch einen drauf:

Seelenbilder möchte ich singen

Immer, wenn ich auf der Bühne stehe, lasse ich mir ein neues Wort einfallen. Unmittelbar passiert dann alles, ohne daß ich das Gefühl habe, keine Auskunft zu geben. Ganz dem Größenwahn unterliegend, verstanden zu sein, wünsche ich mir, verstanden zu werden, und meine Motivation dabei, sie ist ganz selbstvergessen menschlich.

"Du weißt, daß ich auch das Träumen unter Umständen zu den Dingen zähle, die ich Erlebnisse nenne."
(Hermann Hesse, Der Steppenwolf)

"Seelenbilder möchte ich singen" von Anke Hachfeld
aus dem Buch "Gothic! Die Szene in Deutschland aus der Sicht ihrer Macher"
Verlag: Schwarzkopf & Schwarzkopf , Berlin 2000

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